Dienstag, 27. März 2012

Die Nullen einzeln


Die Nullen einzeln sind mir lieber
als zur Schlange an eine Ziffer gehängt.“

Wislawa Szymborska








Freitag, 23. März 2012

Etwas über die Seele

Etwas über die Seele

Die Seele hat man gelegentlich.
Niemand hat sie ohne Unterlass
und auf Dauer.

Tag um Tag,
Jahr um Jahr
kann ohne sie vergehen.

Nur in der Begeisterung
und den Ängsten der Kindheit
nistet sie sich manchmal auf länger ein.
Manchmal nur im Befremden,
dass wir alt geworden sind.

Selten begleitet sie uns
bei mühseligem Tun
wie Möbelrücken,
Kofferschleppen
oder weiten Wegen in engen Schuhen.

Beim Ausfüllen von Fragebögen
und Fleisch hacken
hat sie in der Regel frei.

Von tausend unserer Gespräche
beteiligt sie sich nur an einem,
und das auch nicht unbedingt,
denn sie liebt es zu schweigen.

Wenn unser Körper beginnt, uns mit Schmerzen zu plagen
stiehlt sie sich heimlich aus dem Dienst.

Sie ist wählerisch:
ungern sieht sie uns in der Masse,
unser Kampf um kleine Vorteile
und schnatternde Geschäfte.
widert sie an.


Freude und Trauer
sind für sie keine unterschiedlichen Gefühle.
Nur wenn sie sich verbinden,
wohnt sie uns bei.

Wir können auf sie zählen,
wenn wir uns keiner Sache sicher sind
und auf alles neugierig.

Von den materiellen Dingen
liebt sie Pendeluhren
und Spiegel, die beständig arbeiten,
auch wenn niemand hinschaut.

Sie sagt nicht, woher sie kommt
und wann sie uns wieder verlässt,
aber sie wartet offensichtlich auf diese Frage.
Es hat den Anschein,
dass so wie sie uns,
auch wir
sie zu etwas brauchen.

Wislawa Szymborska






Donnerstag, 22. März 2012

Weltwassertag

Heute ist der 22. März 2012, heute ist 20. Weltwassertag. 

In den UN-Mitgliedsstaaten finden verschiedene Aktionen zum Gewässerschutz statt, auch Modemarken beteiligen sich: Giorgio Armani, der erfolgreiche Wasserspender, baut sein Acqua for Life-Programm aus. Die Zeichnungen aus Ghana, die der Modeschöpfer von den Kindern als Dankeschön für sauberes Trinkwasser bekam, schmücken jetzt ein Damen- und ein Herren-T-Shirt. 30 Prozent des Verkaufpreises (60 Euro) fließen davon zurück und zwar in das ‘Smart Water for Green Schools’-Projekt vom Internationalen Grünen Kreuz.

Auch Levi’s bemüht sich, mehr Leuten sauberes Trinkwasser zu ermöglichen. Nach eigenen Angaben konnte Levi’s schon 172 Millionen Liter Wasser bei der Denimproduktion einsparen, z.B. indem man das Wasser für den Finishing-Prozess zirkulieren ließ oder durch ein Stonewash-Verfahren, das ganz ohne Wasser auskommt. Die Kollektion heißt WaterLess.




Sonntag, 18. März 2012

Lots Frau


Lots Frau

Angeblich sah ich zurück aus Neugier.

Außer der Neugier hätt ich auch andere Gründe haben können.

Ich sah zurück, weil mir die Silberschale leid tat.

Versehentlich – als ich den Riemen festband an der Sandale.

Um nicht noch länger in den gerechten Nacken Lots, meines Mannes, zu blicken.

Aus plötzlicher Überzeugung, er hielte nicht einmal an,

wenn ich stürbe.

Aus Ungehorsam der Demutsvollen.

Auf die Verfolger lauschend.

Gerührt von der Stille, hoffend, Gott habe seinen Beschluss geändert.

Unsere beiden Töchter verschwanden hinter der Hügelkuppe bereits.

Ich spürte das Alter in mir. Die Entfernung.

Die Schläfrigkeit. Leere des Wanderns.

Ich sah zurück, als ich das Bündel zu Boden legte.

Ich sah zurück vor Angst, wohin die Schritte lenken.

Schlangen kreuzten den Weg,

Spinnen, Feldmäuse, Geierküken.

Weder Gutes noch Böses – einfach alles, was lebte, kroch

und hüpfte in Massenpanik.

Ich sah aus Verlassenheit zurück.

Aus Scham, ich hätte zu eilig die Flucht ergriffen.

Aus Lust, jetzt aufzuschreien, umzukehren.

Oder erst dann, als der Wind

meine Haare löste und das Kleid mir nach oben blies.

Ich meinte, man sehe es von den Mauern Sodoms

und lache schallend, einmal und wieder.

Ich sah zurück im Zorn.

Um mich zu weiden an ihrem großen Verderben.

Ich sah zurück aus allen oben genannten Gründen.

Ich sah zurück ohne eigenen Willen.

Es drehte sich, unter mir knarrend, der Fels nur.

Ein Erdspalt schnitt mir plötzlich den Weg ab.

Ein Hamster trippelte, auf zwei Pfötchen gereckt, am Rande.

Und eben da sahn wir zurück.

Nein, nein. Ich lief weiter,

ich robbte und flog hinauf,

bis vom Himmel die Dunkelheit fiel,

und mit ihr der heiße Kies und die toten Vögel.

Aus Atemnot drehte ich mehrmals mich um.

Wer das hätte sehen können, meinte vielleicht, daß ich tanze. Nicht ausgeschlossen, daß ich die Augen geöffnet hatte.

Möglich, daß mein Gesicht, als ich hinfiel, zur Stadt zurück sah.

Wislawa Szymborska




Montag, 12. März 2012

Du hast mir ...


Du hast mir Pyramidon gegeben,
Wenn ich Kopfweh hatte.


Du packtest mein liederliches Alltagsleben
In zarte Watte.


Du hattest für jedes Wehweh
Einen Tee.

Mascha Kaléko



Sonntag, 11. März 2012

Freitagabend in M's Küche




Vielen Dank, liebe M., für den schönen Abend bei Dir -
für die Quiches, den Salat, den Obstsalat und die Sahne,
für den leckeren Wein und das Wasser,
für die Serviette
und für die guten Gespräche.

Ja, und natürlich für die Möglichkeit,
Tränen weinen zu dürfen.











Freitag, 9. März 2012

Ingeborg Bachmanns Küche


"Meine römischen Freunde machen sich alle lustig über meine Wohnung, weil sie sagen,
dass es mir gelungen ist, mitten in Rom eine wienerische Wohnung zu haben
und ostinatamente daran festzuhalten"





Donnerstag, 8. März 2012

Am 8. März feiert Italien das "Festa della Donna"


"Jedes Jahr übernehmen am 8. März in Italien die Frauen für einen Tag das Regiment im Land: „Festa della Donna“ heißt die Zauberformel. Schon Wochen im Voraus wird bis ins Detail genau geplant, wie und wo der Tag begangen werden soll. Restaurants, Pizzerien, Discotheken und Reisebüros haben sich darauf eingestellt und bieten Specials und Events für jeden Geschmack an.


Freundinnen, Nachbarinnen und Kolleginnen schlagen am 8. März in einer Mischung aus Junggesellinnenabschied und Weiberfasnacht über die Stränge. Männliche Stripper hetzen von Auftritt zu Auftritt und während die Frauen in Hochstimmung sind, hängen Ehemänner und Freunde etwas verloren in den Bars herum. Erst um Mitternacht hat der Spuk ein Ende...
Die Lokale profitieren kräftig von diesem Großereignis, doch nicht nur sie. Für die Blumenhändler ist der 8. März, wie Muttertag und Valentinstag zusammen. Sie machen mit Mimosenzweigen Rekordumsätze, denn ohne Mimosen kein Frauentag. Dass die gelben Frühlingsboten heute in Italien für den Frauentag stehen, geht auf das Jahr 1946 zurück: Die Vertreterinnen der UDI (Unione Donne Italiane) waren bei ihrem ersten Nachkriegstreffen in Rom auf der Suche nach einem Symbol für den gerade wieder entdeckten Gedenktag. Vor den Fenstern ihrer Tagungsstätte - es war März - standen die Mimosen in voller Blüte...
Seit damals werden jedes Jahr in Italien am 8. März Millionen Mimosenzweige verkauft – zumeist an Männer, die sie als freundliche Geste der Anerkennung den Frauen überreichen. Aber auch die Frauen selbst beschenken sich untereinander mit den gelben Blüten. 90% der Wedel werden in Ligurien produziert. Den alljährlichen Radikalschnitt verkraften die schnell wachsenden, aber kurzlebigen Bäume offenbar problemlos. Allein in der Provinz Imperia werden mehr als 150 000 Kartons zu je drei Kilo Blüten gepackt und auf dem Blumenmarkt in San Remo verkauft. Auch die fliegenden Dienstleister partizipieren an dem Geschäft: An den Verkehrsampeln in den Ballungszentren werden den bei Rot Wartenden Mimosen aufgedrängt: 3 Euro, prego.
Gelb ist heute überall angesagt, nicht nur in der Vase. Die Tisch-Deko ist farblich dem Anlass ebenso angepasst, wie die Speisekarte, auf der die „torta mimosa“ nicht fehlen darf. Ihre Oberfläche ist mit zerbröselten Biskuits dekoriert und erinnert damit – wenn auch vage - an das duftige Frauentagssymbol. Die Mimose selbst sollte man tunlichst nicht in der Küche verwenden: sie ist in allen Teilen giftig!
Wie man die zarten Blüten über den Tag rettet, beschäftigt jedes Jahr aufs Neue die Service-Abteilungen von Fernsehen und Tagespresse. Die Blätter zu entfernen soll die Lebensdauer verlängern, warmes Wasser in der Vase lässt angeblich auch die ungeöffneten Blüten aufgehen. Trockene Heizungsluft mögen sie gar nicht. Wer aber schon einmal einen Strauß Mimosen zuhause hatte, kennt den wahren Grund, warum die Zweige bereits anderntags diskret entsorgt werden: Der betäubende, fast penetrante Duft der Blüten raubt einem den Schlaf.
Im streng-botanischen Sinn handelt es sich bei den am „Festa della Donna“ allgegenwärtigen Blütenwedeln eigentlich gar nicht um eine Mimose, sondern um eine Akazie, genauer gesagt um „Acacia dealbata“. Die hat ihre Heimat in Australien und verträgt keinen Frost. Dies dürfte auch der Grund sein, warum sich der Brauch, am 8. März Mimosen zu schenken, in Nordeuropa nicht durchsetzen konnte. Die eigentliche Mimose mit der sprichwörtlichen Empfindlichkeit stammt hingegen aus Amerika, blüht eher unscheinbar und ist nur eine entfernte Verwandte der „Acacia dealbata“.
Aber das ist nicht die einzige Kuriosität im Zusammenhang mit dem 8. März. So gibt es mehrere, recht unterschiedliche Entstehungsmythen und -daten rund um den heute weltweit begangenen Frauentag. Dass er seine Wurzeln im Kampf für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen und das Frauenwahlrecht hat, darüber zumindest herrschte lange Einigkeit. Die enge Verbindung dieser Bewegung zu den kommunistischen Parteien führte jedoch im Kalten Krieg zu einer „Anpassung“ der Entstehungsgeschichte. So wird heute allgemein eine Tragödie als Ursprung des Frauentags ins Feld geführt, die sich 1908 in New York ereignete. 129 streikende Textilarbeiterinnen verbrannten damals in einer Fabrikhalle, in der sie von ihrem Boss festgehalten wurden. Unter den Opfern sollen viele italienische Migrantinnen gewesen sein.
Doch daran denkt kaum jemand mehr am 8. März, ebenso wenig, wie an die großen Ziele der Frauenbewegung, die zum Teil noch heute ihrer Umsetzung harren. Dass 92% der 2008 für eine Studie befragten Ligurerinnen die weibliche Beteiligung an der Politik nach wie vor als unzureichend empfinden, verwundert wenig. Feiern werden viele der Damen wahrscheinlich trotzdem. La lotta continua."




Freitag, 2. März 2012

Morgen bist du noch da, Besticktes Buch & Eierlikör

Nun ist es bei mir, das schöne Buch -
ich bin seine 4. Station,
es kam zu mir aus der Schweiz.

Es ist bestickt - und ich habe mich
gefragt, ob wohl alle Bücher bestickt
sind? Ich glaube nicht. Na jedenfalls
habe ich noch eine weiße Linie an
der Bank entlang dazu gestickt.










Kurzbeschreibung
Als Lio und ihre Mutter sich nach einer längeren Funkstille in Berlin wiedersehen, bricht die Tochter das größte Tabu. Sie fragt, wer ihr Vater ist. Die Mutter antwortet nicht und geht zurück ins Hotel, wo sie nachts einen Schlaganfall erleidet. Lio erkennt: Sie muss wissen, wer ihre Mutter wirklich ist. Die Suche nach ihrer Familiengeschichte beginnt und führt sie über Köln zurück nach Berlin. Und als sie Antworten findet, ist nichts mehr, wie es einmal war.


Über die Autorin
Mila Lippke, Jahrgang 1972, studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften. Heute arbeitet sie als Fernsehautorin in Köln. Homepage der Autorin: www.mila-lippke.de
& aktueller Blogeintrag: seitenspinnerinnen.de


"Lio ist Künstlerin in Berlin, arbeitet mit Stoffen und stickt. Außerdem ist sie politisch engagiert. Gerade wird in einer renommierten Galerie ihr Werk ausgestellt. Zur Ausstellungseröffnung hat sie ihre Mutter aus Köln eingeladen, zu der sie kein gutes Verhältnis hat.
Gerade hat sie auch herausgefunden, dass sie schwanger ist von einem verheirateten Mann, mit dem eine gemeinsame Zukunft kaum denkbar ist.
Jetzt versucht sie, ihre Vergangenheit zu finden. Sie selbst hat aus ihrer Sicht keine glückliche Kindheit gehabt. Einen Vater gab es nicht und die Mutter hat sie gerade so durchgebracht. Sie fragt ihre Mutter nach dem Vater, diese antwortet nicht. Am nächsten Tag erfährt sie, dass ihre Mutter einen Schlaganfall hatte und kaum sprechen kann.
Sie kümmert sich um die notwendigen Papiere, fährt deshalb nach Köln. Einmal in der Wohnung der Mutter versucht sie Antworten zu finden. Und sie erfährt Erstaunliches. Alle Informationen sind aber nur Puzzleteile, die noch lange kein Ganzes ergeben.

Parallel zu dieser Geschichte erfährt der Leser einiges über ein Mädchen, später eine junge Frau. Anscheinend handelt es sich hierbei um die Mutter. Deren Kindheitserinnerungen sind auch nur Bruchstücke, weil sie aus der Sicht eines kleinen Mädchens geschildert werden, die den größeren Zusammenhang nicht begreifen kann. Wichtig bei allem sind immer die Farben. Die Vielfältigkeit der Farben und deren Bezeichnungen sind ein wichtiges Thema zwischen dem Mädchen und dessen Mutter und auch Lio erfährt von ihrer Mutter viel über Farben.

Was Lio da ausgräbt ist Geschichte, nicht nur ihre, sondern ein Teil der Geschichte eines ganzen Volkes. Es ist erschreckend, wenn man erfährt, wie weit die Erfahrungen einer Generation auch noch Auswirkungen auf die nächste und die übernächste haben können. Das ist hier zwar Fiktion, aber so könnten Tausende es erlebt und weitergegeben haben. Die Vergangenheit ist nicht vorbei, sondern sie lebt in uns fort. Das hat die Autorin auf ganz eindrucksvolle Weise vermittelt."
nach meldsebjon


Erster Satz:

Sonnenlicht dringt warm durch den Spalt zwischen den Holzbrettern vor den Fenstern.

Schöne Sätze:


Nadeln haben schon immer eine besondere Faszination auf mich ausgeübt: die magische Kraft der Nadel. Die Nähnadel dient dazu, Schaden wieder gut zu machen. Sie fleht um Vergebung.

Ich versuchte, an Farben zu denken, daran, dass viele Farben in der Natur, wie auch bei den Schmetterlingen, nicht durch Mischen zustande kamen, sondern durch Eigenschaften des Lichts. Dass Purpur auf weißer Wolle ganz anders aussah als auf schwarzer. Dass Stickereien am Tag viel bunter wirkten als im Schein einer Kerze. Dass Farben vor allem Ideen und Gefühle waren.

Letzter Satz:

Ich lege ihr beide Hände auf die Schultern, beuge mich vor, atme ihren vertrauten Geruch ein und flüstere ihr ins Ohr: „Morgen bist du noch da, Mama.“


Wer möchte die 5. Station für dieses Buch sein?


((_,»*¯**¯*«,_)) ((_,»*¯**¯*«,_))
Be
sticktes Buch
((_,»*¯**¯*«,_)) ((_,»*¯**¯*«,_))







((_,»*¯**¯*«,_)) ((_,»*¯**¯*«,_))
Wir reichen heute: Eierlikör
((_,»*¯**¯*«,_)) ((_,»*¯**¯*«,_))





Salute! & bis bald im Belletri-stick Salon ...


Donnerstag, 1. März 2012

März-Gedicht


Frühling

Nun ist er endlich kommen doch
in grünem Knospenschuh;
"Er kam, er kam ja immer noch",
die Bäume nicken sich's zu.
Sie konnten ihn all erwarten kaum,
nun treiben sie Schuß auf Schuß;
im Garten der alte Apfelbaum,
er sträubt sich, aber er muß.

Wohl zögert auch das alte Herz
und atmet noch nicht frei;
es bangt und sorgt: "Es ist erst März,
und März ist noch nicht Mai."
O schüttle ab den schweren Traum
und die lange Winterruh:
es wagt es der alte Apfelbaum,
Herze, wag's auch du.

Theodor Fontane





Statt Schnittblumen im März

Märzenbecher