Dienstag, 27. Dezember 2011

Nils Holgerssons wunderbare Reise

*~* Wunderschöner  Film!

"50 Jahre lang hat die ARD die Finger vom Selma-Lagerlöf-Klassiker "Nils Holgersson" gelassen, nun hat sie ihn verfilmt. Glücklicherweise wurde darauf verzichtet, ein animiertes Spektakel daraus zu machen. Bei dem Zweiteiler stellt sich sogar das bekannte Weihnachts-Mehrteiler-Gefühl ein: alle Mann aufs Sofa und gut zugehört!
Der als sogenannter Event-Zweiteiler beworbene Film Nils Holgerssons wunderbare Reise liegt manchmal etwas bleiern in der Luft - aber nur, wenn die Wildgänse in allzu vorbildlich keilförmiger Jagdgeschwader-Formation von hinten beim Flug über Südschweden gezeigt werden, mit dickem Po und wackelnden Flügeln. Stets dabei und noch zappeliger den massigen Körper durch die Lüfte schiebend: Hausgans Martin als Schwarm-Außenseiter. Auf Martins Rücken thront niemand anders als Nils Holgersson.
Diese - animationstechnisch gesehen - etwas unbeholfen durch die Lüfte schaukelnde Gänseparade erinnert kurz daran, dass die Abbildung von echten sprechenden Tieren mit Handicaps verbunden ist. Aber kleine technische Einschränkungen ändern nichts an dem Vergnügen, den die seit 50 Jahren erste Real-Verfilmung des Buches der Schwedin Selma Lagerlöf bereitet. Das Team um Regisseur Dirk Regel hat der Stärke der Vorlage vertraut und den Stoff eben nicht, wie angesichts dieser vorlauten Ankündigung zu befürchten stand, zum Event-Spektakel gemacht.
Was man sich unter so einem Hokuspokus vorstellen kann, hat unlängst die Neu-Verfilmung von Die drei Musketiere fürs 3D-Kino gezeigt. Darf's tricktechnisch noch ein paar Tonnen mehr Event sein? Nein danke, lieber gute Dialoge und liebevoll dargestellte Typen aus den Tiefen der Provinz. Dazu die Zeit, die es braucht, um Nils Wandlung vom Nichtsnutz zum wertvollen Menschen mit Humor und auch mal rührenden Momenten zu erzählen.
1909 war Selma Lagerlöf die erste Frau, die mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen war ein für die Schule geschriebenes Märchen. Die Reise des kleinen Nils ist eine Reise zu einem am Ende besseren, klügeren Nils, zu einem guten Kind.
Das traut ihm keiner mehr zu, zumindest in der Menschenwelt. Der Bauernjunge hat ja auch nichts Anderes zu tun, als die Tiere auf dem Hof der hart arbeitenden Eltern mit Steinen zu beschießen oder auf jede erdenkliche Weise zu ärgern beziehungsweise die ihm zugewiesenen Aufgaben schlampig zu erledigen.
Im 13-jährigen Nils steckt viel Übermut und Langeweile, das kann nicht gutgehen. Tut's auch nicht, bis er den Hauskobold (sehr ernsthaft und komisch gespielt von Hanns Zischler) so nervt, dass der ihn in einen handlichen Zwerg verwandelt.
Als die Hausgans Martin (wunderbar die Stimme von Bastian Pastewka) sich den Wildgänsen anschließt, wirft sich Nils (Justus Kammerer) ihr buchstäblich an den Hals, weil er nicht weiß, wohin mit seinen paar Zentimetern Körpergröße. Martin nimmt ihn mit, so beginnt die Reise nach Lappland und zu sich selbst. Mit dabei: sprechende Gänse, sprechende Füchse, sprechende Raben. Alle real, so matscherprobt wie pfützenecht.
Lagerlöf hat ihr moralisch wertvolles Werben für Werte wie Respekt gegenüber allen Wesen der Schöpfung in eine unterhaltsame Handlung gepackt. Die braucht keine menschlich-grimassierenden Tiere, wie sie aufwändige Computeranimation natürlich hinkriegen würde.
Die Tiere schauen in dieser NDR-Produktion halt aus, wie die Natur es vorgesehen hat: weitgehend mimikfrei und mit im Grunde leerem Blick, nur ihre Schnäbel bewegen die Vögel eifrig, und der Fuchs klappt, wie es sich gehört, beim knurrigen Reden das Maul auf und zu. Das allein war aufwändig genug, wie man einem ausführlichen Making of des Zweitelers über die Arbeit der Tiertrainer entnehmen kann.
Man muss sich natürlich einhören und einsehen in diese Tier- und Menschenwelt, aber dann stellt sich das oft herbeigesehnte, von früher bekannte Weihnachts-Mehrteiler-Gefühl ein: Alle Mann aufs Sofa und gut zugehört.
Lagerlöfs Typen-Kaleidoskop ist so drollig wie hintersinnig, ob man es mit schwadronierenden Landstreichern oder gewitzten Marktweibern zu tun bekommt. Der Film ist auf eine schöne, pralle Weise ein großes kleines Fernsehspiel geworden, mit prächtiger Schwedenlandschaft, naturbelassener Kindheit, ein Heile-Welt-Gemälde, angesiedelt irgendwo zwischen 19. Jahrhundert und Landwirtschaft der 50er Jahre, mit mittelgroßen Rissen im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern.
Und immer wieder mit so fein erheiternden Momenten wie diesen: Als der Fuchs den kleinen Nils mal eben als Zwischendurch-Happen verspeisen will und der um Gnade bettelt, antwortet der Realfilmfuchs: "Sei still, ich spreche nicht mit meinem Essen."

via Süddeutsche.de


 
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